CHILE 2008
Fotos: Jens Klatt
Vuelta Vertical – Samba, Saltos, Sprachprobleme
Text: Fabian Dörfler
»Hier, hömma, wie sieht’s aus? Sollen wir im Dezember nach Chile? – Ähm… Ja, logisch!«
So muss es sich im Sommer 2008 mehrmals abgespielt haben. Nach einiger Recherche auf einschlägigen Internetseiten wurde quasi nur noch von Wasserfällen in Chile und Argentinien geschwärmt, so dass Philip und Andi kaum mehr anders konnten, als sich uns trotz aller Verpflichtungen in der Uni anzuschließen.
Schließlich machte sich eine siebenköpfige Gruppe rund um Filmemacher Olaf Obsommer und Fotograf Jens Klatt am 9. Dezember auf die Reise nach Südamerika. Mit an Bord waren neben den bereits erwähnten Olaf Obsommer, Jens Klatt, Philip Baues und Andi Pfeifer, noch Timo Köster, der frischgebackene adidas sickline-Weltmeister Thilo Schmitt und meine Wenigkeit, der ich ja im Slalom bereits schon mal Weltmeister war. Das erklärt dann auch den ursprünglichen Titel auf unserem Proposal: »Vuelta Vertical – Weltmeister auf Wasserfalljagd«
Die Anfragen bei Fernsehen und Presse stießen bereits im Vorfeld auf recht gutes Gehör. Unser Auftrag war ohnehin klar. Spektakuläre Aufnahmen, Storys und natürlich jede Menge Höhenmeter. CHECK! Das haben wir erledigt.
Aber alles Schritt für Schritt: Der erste Haken, der gesetzt werden wollte, lag am Rio Claro. Nach den Siete Tazas kam für uns der Korkenzieher-Wasserfall in der Klamm der Entre Tazas. Die Klamm wurde erst vor zwei Jahren erstbefahren und ich muss davor wirklich den Hut ziehen, denn die Kernstelle ist eine Zwangspassage, die man absolut nicht einsehen kann. Zuerst führt eine Rutsche wie ein Korkenzieher fast 180 Grad ums Eck, um dann im Dunkeln zu verschwinden. Man kann nur erahnen, dass darauf ein Fall mit etwa 7 Metern Freifall folgt. Dank der Fotos der Erstbefahrung konnten wir diese einmalige Stelle aber ohne weiteres genießen, mehr oder weniger zumindest. Denn die Boote und Paddel von Philip und Timo hingen zunächst noch am Flughafen fest. Also ging’s für mich direkt im Anschluss an die erste Fahrt sofort mit den beiden auf zur zweiten Runde. Second run – double fun. Beinahe zumindest. Wir hätten wahrscheinlich nur eineinhalb Stunden gebraucht, wenn ich am Korkenzieher nicht voll in die Steine gemeltet wäre. Boot und Füße mussten danach erst mal etwas gepflegt werden. Außerdem brauchte Timo ein Ersatzpaddel. BODY COUNT: 1 PADDLE, 2 BOATS (Andi hatte sich auch schon einen Riss ins Unterschiff gefahren)
Weiter ging es nach Pucon, gute 800 km südlich von Santiago, wo wir in der Gästehütte von Hansi Neuner unterkamen, der im Ötztal das Crazy Eddy betreibt. Rund um Pucon gibt es unzählige geniale Flüsse mit jeder Menge Wasserfälle. Die Boote konnten wir mit der Hilfe von Thomas »Toro« Rogenmoser schweißen. Nach dem Trancura mit dem Salto Mariman (CHECK!) und dem Rio Puesco kam der Palguin. Schon der Upper Palguin hat’s in sich. Erst mehrere 4 bis 6 Meter Genusshüpfer und schließlich die sogenannte Portage, eine Kombination aus einer 3-Meter-Stufe und einem etwa 7 Meter hohen Fall. Ich hatte natürlich noch genau das Helmkameravideo von Evan Garcia im Kopf. Nachteil und Vorteil zugleich sind an dieser Stelle, dass man einfach nichts machen kann, aber eben auch nichts tun muss, außer oben reinzufahren und die Luft anzuhalten. CHECK!
Von da an waren wir alle ziemlich on fire und setzten uns langsam aber sicher mit dem 20-Meter-Fall am Middle Palguin auseinander. Eine Größenordnung die für uns alle neu war. Was soll ich sagen? 5 x CHECK! BODY COUNT: 3 PADDLES Der Fall ist einfach perfekt, der Pool ist groß und ungefährlich. Eigentlich muss man nur das Paddel wegwerfen, den Kopf runter nehmen und die Arschbacken zusammenkneifen.
Der Vollständigkeit halber sei noch gesagt, dass ich die Portage am unteren Palguin bei relativ wenig Wasser einmal gefahren bin. Besonders schön war’s nicht, eher hakelig. Beim nächsten Mal würde ich wieder tragen. Trotzdem: CHECK!
Oberhalb des Einstiegs für den Upper Palguin wartet immer noch der Salto Palguin auf eine Erstbefahrung.
25 Meter Fall und ein sauberer Pool. Unsere einhellige Meinung war aber, dass man etwas mehr Wasser dafür bräuchte, damit die Anfahrt gut gelingt und der Aufschlag im Unterwasser nicht zu hart wird.
Und noch was: BODY COUNT: 1 PADDLE Bei einer weiteren Befahrung der Portage am Upper Palguin zerbrach ich mein teilbares Paddel. Jetzt war es höchste Zeit mein Lettmann-Paddel zu reparieren, bei dem die Alu-Hülse gebrochen war. Ich nahm einen Besenstiel und steckte die beiden halben Schäfte darüber. Das hat sogar 'ne ganze Weile gut gehalten.
Die nächsten Haken konnten Andi und ich dann am Llancahue setzen. Gerd’s Drop, den Gerd Serrasolses als erster geknackt hat, wurde von mir und Andi zweit- und drittbefahren. In der Anfahrt muss man durch eine S-Kurve mit einigen Walzen und Verschneidungen. Dann geht es rechts etwa 16 Meter runter. Auf halbem Weg wartet noch eine Felsrippe, auf die man zwangsläufig aufschlägt, um dann die letzten Meter irgendwie in die Tiefe zu purzeln. CHECK! (und diesmal ist sogar alles ganz geblieben) Einen Pool weiter folgte dann noch ein annähernd perfekter, knapp 10 Meter hoher Wasserfall, den Thilo und Philip natürlich auch mitpaddelten. CHECK!
Die anschließende Schlucht ist auch noch nicht befahren worden und daran haben wir auch nichts geändert. Olaf und Philip haben sich am 25. Dezember zwar durch den Urwald am Ufer entlang gekämpft, zur Belohnung gab es aber keine Erstbefahrung. Der Llancahue hat in der Klamm nur wenige Kehrwässer und umso mehr schwierige und enge Rapids. Soweit ab vom Schuss ist es einfach zu riskant, in eine solche Bobbahn einzusteigen.
Nach gut einer Woche Pucon führte uns unsere Vuelta weiter nach Argentinien. Durch faszinierende Landschaften kamen wir am 18. Dezember in Bariloche an. Leider hatte der Salto Bonito, der ganz oben auf unsere Liste stand, zu wenig Wasser. Dafür wartete der Rio Manso mit idealem Wasserstand und dem Salto des Alerces darauf, von uns befahren zu werden. An besagter Stelle teilt sich der Rio Manso und fällt auf der einen Seite über eine lange Rutsche gute 15m in die Tiefe. Im anderen Kanal macht der Fluss diesen Höhenunterschied durch einen Wasserfall wett.
Leider kam es nicht ganz so weit. Unglücklicherweise kugelte sich Thilo an der Rutsche seine bereits vorbelastete Schulter aus. Er musste zum Einrenken ins Krankenhaus nach Bariloche. Gut, dass Flo Daltrozzo mit von der Partie war. Er sprach als einziger von uns Spanisch und managte alles mit den Rangern und den Ärzten. Thilo verbrachte die folgende Nacht im Krankenhaus und musste leider wenige Tage darauf die Heimreise antreten. BODY COUNT: eine Schulter.
Für den Rest der Truppe stand der Escondido auf dem Programm, ein als »der Geheimtipp Südamerikas« gehandelter Fluss, der auf dem Privatgrund eines US-Amerikaners liegt. Normalerweise ist es nicht möglich mit dem Auto auf das Gelände zu fahren, und so bleibt einem nichts anderes übrig als die zwei Stunden Fußmarsch in Kauf zu nehmen. Es sei denn, man hat gute Kontakte dabei und trifft so den einzigen Argentinier, der offiziell die Erlaubnis hat dort zu paddeln. Leider machte uns das Wetter etwas einen Strich durch die Rechnung, so dass es auch keine Beweismittel für unsere Befahrung gibt. Regen und Sturm brachten dazu einige Bäume zum Umfallen und wir mussten sogar manche Stellen umtragen. Der Escondido hat eine (fast-) Zwangspassage. Ein 4-Meter-Hüpfer führt in einen riesigen Pool mit Wänden links und rechts. Man kann jedoch aussteigen und den folgenden 10-Meter-Fall besichtigen. Olaf und Andi taten das und wir starteten auf Ansage durch. CHECK! BODY COUNT: 1 PADDLE. (das eine Paddel, das ich vorher so schön mit einem Besenstiel ausgestopft hatte)
Wieder zurück in Chile stand der Gol Gol auf unserer Liste. Den Salto Princesa befuhr nur Flo. Dem Rest der Truppe waren die Unterspülungen nach dem Fall etwas zu unheimlich. Am Salto del Indio waren dann zusätzlich Philip und ich mit am Start. Gute 15 Meter Höhe und vor allem eine Menge Wasser, die auf den Paddler einstürzt. Klarer Fall: Paddel wegwerfen, Luft anhalten und hoffen, dass die Spritzdecke drauf bleibt. Es geht tief runter. Andi hat aus Rücksicht auf sein Trommelfell lieber umtragen. Wir drei, die fuhren, ließen uns unter Wasser über 5 Sekunden lang aufmischen, bevor wir wieder hochrollen konnten. CHECK!
Nächster Stopp: Park’n’Huck am Salto Nilahue: eine knapp 10 Meter lange, sehr steile Rutsche, die in 8 Meter freien Fall übergeht. Unten links fließt einiges unter die senkrechte Wand. Also hieß es, Paddel festhalten! Ich war ja mittlerweile mit Thilos Boot und Paddel unterwegs und um die Sachen zu schonen, nahm ich nur eine Hälfte meines abgebrochenen Paddels mit auf die Reise. Hat wunderbar funktioniert. Bei Philip ging auch alles glatt. Dann kam Flo. Sein Paddel brach, die Spritzdecke ging auf und sein Boot trieb in Richtung Unterspülung. Was ich von hinter dem Wasserfall nicht sehen konnte: Flo wurde zur anderen Seite gespült und war in Sicherheit. »Puh! Noch mal gut gegangen«, dachte ich, bevor Andi kam. Andis Spritzdecke poppte auch und Andi rollte zwar hoch, musste dann aber schleunigst das Boot verlassen, weil er samt Boot auf die Unterspülung zu trieb. Er konnte sich auf einen winzigen Felsvorsprung retten und musste dann leider viel zu lange warten, bis wir vier Wurfsäcke miteinander verbunden hatten, um ihn ans andere Ufer zu ziehen. Wir waren alle heilfroh, als wir alle Mann wieder auf der Kiesbank versammeln konnten. Sogar das ganze Material kam nach einiger Zeit aus der Gefahrenzone getrieben. CHECK!
Toro und Flo verließen uns dann am 23.12. um zum Heiligabend ihre besseren Hälften in Pucon anzutreffen. Wir nahmen uns am 24. den Fuy vor. Warmes Wasser und schöne Rapids. dazu Philip und Andi in der Rolle von Santa Claus. Geschenke hatten sie keine dabei, der Fuy hatte aber den Salto Leona für uns parat. CHECK! Wie war noch das eine Gespräch im Auto? Philip: »Is der hoch?« Thilo: »Ähm… Nee, so 10 Meter!« Es waren dann nur 8 Meter, aber klar war, dass wir irgendwie etwas abgebrühter waren als noch ein paar Wochen zuvor.
Nach einem weiteren kurzen Aufenthalt in Pucon führte unser Rückweg über den Truful Truful. Das Poster von Arnd Schäftleins Erstbefahrung hing jahrelang über meinem Schreibtisch. Der Fall selbst dürfte etwa 7 Meter Höhe abbauen, aber es kommt ne ganze Menge Wasser mit runter und die 200 Meter zuvor sind ein Wildwasser-5-Katarakt. Ich hab mich auch gleich in der Eingangsstufe überschlagen, der Rest ging aber reibungslos. Philip hatte ohnehin schon ein Zwicken in den Rippen und quälte sich etwas unorthodox runter. Andi kam auch etwas von der Linie ab, aber wie auch immer. CHECK!
Insgesamt hat der Trip 2 Boote, 5 Paddel und, was das Schlimmste ist, eine Schulter zerstört. Dafür gab es reichlich Höhenmeter, neue Stempel im Reisepass und viele einzigartige Erlebnisse. Herzlichen Dank an alle und an dieser Stelle auch an die vielen Leute, die uns vor Ort so oft weitergeholfen haben: Toro, Flo, Hansi Neuner, Rodrigo Tuschner, HER ;-) die DEMSHITZ-Jungs und Pablo Schnorres ;-) Während ich das schreibe möchte ich am liebsten sofort wieder zurück!
Team:
Philip Baues
Olaf Obsommer
Jens Klatt
Thilo Schmitt
Timo Köster
Fabian Dörfler
Thomas Roggenmoser
Andreas Pfeifer
Flo Daltrozzo
Sponsoren: adidas, Langer, Dagger, Ty Warp, wave sport, Zoelzer, AKC